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Die Paradiespforte
Die Paradiespforte
Den größten Triumph seines Rivalen erlebt Filippo nicht mehr. Er ist schon sechs Jahre tot, als Lorenzo Ghiberti auch das letzte Portal für das Baptisterium vollendet. Fünfundzwanzig Jahre hat er daran gearbeitet - und ein unsterbliches Meisterwerk geschaffen.
Diesmal hat Lorenzo die Flügel in zehn größere Felder eingeteilt. In jedem Feld erzählt er mehrere Geschichten, eingebettet in komplexe Szenerien und Landschaften. Die erste Tafel oben links zeigt zuerst die Erschaffung Adams - dann die Erschaffung Evas. Lorenzo verleiht den eigentlich flachen Bildern eine erstaunliche Tiefe: den Sündenfall zum Beispiel verlegt er in den Hintergrund. Hier sind nicht nur die Figuren kleiner, das Relief ist auch flacher - so suggeriert er eine etwas dunstige Ferne.
Die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies bildet den Übergang zum nächsten Feld: die Menschen müssen sich ihr Brot fortan mit Feldarbeit selbst verdienen. Das Bild von Noahs Dankgebet zeigt erstaunlich realistisch einen Löwen und einen Elefanten - für die Florentiner im Jahr 1452 nie gesehene Sensationen.
Die mittleren Tafeln, genau in Augenhöhe, haben besonders interessante Hintergründe. Die Geschichte von Jakob und Esau, der sein Erstgeburtsrecht für einen Teller Linsen verkauft, verlegt Lorenzo in eine monumentale Stadt - und wendet in höchster Perfektion die Regeln der Perspektive an, die Filippo 40 Jahre vorher entwickelt hat. Neben ihrer künstlerischen Meisterschaft stecken die Reliefs auch voller politischer Verweise. So wird die Figur des kleinen, aber siegreichen David oft als Symbol für die Stadt Florenz benutzt - man denke nur an die berühmte Skulptur von Michelangelo.
Das letzte Bild schließlich zeigt Salomon, der die Königin von Saba trifft. Diese Szene ist eine Anspielung auf das Konzil von Florenz. 1439 hatten sich hier die katholische und die orthodoxe Kirche versöhnt - ein großer Erfolg für die Florentiner. Allerdings letztlich ein kurzlebiger, denn die Kirchenspaltung besteht bis heute fort.
Im Rahmen hat sich Lorenzo wieder selbst porträtiert, mittlerweile über 70 Jahre alt. Die Paradiespforte ist sein berühmtestes und sein letztes Werk - drei Jahre später, am 1. Dezember 1455 stirbt auch er.
Heute ist das Portal weltberühmt. Michelangelo selbst soll bei seinem Anblick ausgerufen haben, es sei wahrhaft würdig, das Tor zum Paradies zu sein. In Wirklichkeit allerdings kommt der Name "Paradies-Pforte" wohl daher, dass der Raum zwischen dem Dom und dem Baptisterium von alters her "Paradies" genannt wird. Genau hier findet Lorenzos Tür ihren Platz. Andrea Pisanos Portal wird an die Südseite versetzt.
Und das ist eine Sensation! Denn das bisherige Hauptportal hat das Leben Johannes des Täufers gezeigt. Das passt zum Baptisterium. Mit der Taufe bekennen sich die Menschen zum Evangelium des Neuen Testaments. Lorenzos Tür aber erzählt Geschichten aus dem Alten Testament. Eigentlich für den Seiteneingang gedacht, verdrängt sie nun die alten Türflügel - und zwar nur aus einem einzigen Grund: sie ist schöner. Das wäre im Mittelalter undenkbar gewesen. Jetzt aber sind die Schönheit des Kunstwerkes und die Bewunderung für den Künstler wichtiger als der biblische Inhalt. Eine neue Weltsicht hat sich durchgesetzt. Die Renaissance ist geboren.
So hat auch Lorenzo Ghiberti seinen Ruhm bekommen: als genialer Bildhauer wird er noch Jahrhunderte später bewundert. Aber auch Filippo hat einen bleibenden Beitrag zur Kunst geleistet: seine neue Technik der Perspektive wird in kürzester Zeit zum Standard in ganz Europa. Im Dom selbst hat sie nicht nur Lorenzo verwendet: die Sakristei ist mit grandiosen Intarsien-Arbeiten ausgekleidet. Solche illusionistischen Bilder waren vor Filippo nicht möglich.