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Das neue Bild des Bürgertums

Ein Halbfigurenbild mit einem Musikanten: solche Motive hatte auch Caravaggio gemalt. Auch Rembrandts Zeitgenosse Frans Hals hat die Bilder der Utrechter Caravaggisten gesehen. Er lässt sich weniger von der Beleuchtung inspirieren - aber er nimmt die realistische Thematik auf.

Sein Bild gehörte wohl ursprünglich zu einer Serie, die die fünf Sinne illustriert - hier das Gehör. Solche Genrebilder, Darstellungen des täglichen Lebens, waren im siebzehnten Jahrhundert sehr beliebt. Sie hingen in den Wohnstuben der Bürger. Dort waren sie aber mehr als nur Dekoration. Die nördlichen Niederlande waren streng protestantisch, und die Bilder enthalten fast immer eine moralische Botschaft.

Jan Steen etwa zeigt die Taufe eines Kindes - und illustriert zugleich das Sprichwort "wie die alten sungen, so pfeifen die Jungen": Hemmungslos zechen die Feiernden - und im Vordergrund folgen die Kinder dem schlechten Vorbild, auch sie rauchen und trinken. Dabei hängen an der Wand als abschreckende Beispiele wiederum zwei Bilder von Frans Hals: der "Pickelhering" als Trinker - heute in Kassel - und die "Malle Babbe" als Raucherin, die leider verloren ist.

Aber in der Berliner Galerie hängt ein anderes Porträt der Malle Babbe. Ihren merkwürdigen Namen verrät eine Inschrift auf der Rückseite. Tatsächlich lebte nach alten Akten um 1653 in Haarlem eine "Malle Babbe" - also eine "verrückte Babette" - im Arbeitshaus, das zugleich Gefängnis und Irrenanstalt war.

Frans Hals hat sie etwa zwanzig Jahre vorher gemalt. Auch er will nicht einfach nur eine ungewöhnliche Frau porträtieren: seine Malle Babbe warnt uns vor den Gefahren des Alkohols. Sie hält sich an einem riesigen Bierkrug fest - aus dem stammen wohl auch ihr Lachen und ihr abwesender Blick. Sie ist "zoo beschonken als een uil" sagte man damals, "so besoffen wie eine Eule." Die Eule steht als Nachttier für die dunklen Seiten des Lebens. Zudem wurde sie mit Hexen verbunden - die historische Babbe nannte man auch "die Hexe von Haarlem".

Den Eindruck von ausschweifender Maßlosigkeit hat Frans Hals mit seiner Malweise noch verstärkt: mit groben, skizzenhaften Pinselstrichen wirkt das Bild wie eine spontan hingeworfene Momentaufnahme des wahren Lebens. Diese Malweise macht es zu einem der "modernsten" Gemälde des 17. Jahrhunderts. Vor allem Künstler des neunzehnten Jahrhunderts waren davon begeistert - 1869 etwa kopierte es Gustave Courbet.

Courbet hatte das Bild in Aachen gesehen, in der Kunstsammlung des Stahlmagnaten Barthold Suermondt. Sie war so großartig, dass das preußische Parlament 1874 eine Million Goldmark bewilligte, um sie zu kaufen. Damals ein ungeheurer Betrag - die Münchener Pinakothek etwa hatte im selben Jahr nur einen Ankaufsetat von zehntausend Mark! Aber die Sammlung Suermondt war ihr Geld wert. Sie brachte viele bedeutende Werke in die Galerie: Bilder von altdeutschen Malern wie Hans Holbein, Hans Baldung Grien und Albrecht Altdorfer, aber auch von Rubens, van Dyck - und dem heute berühmtesten aller Genremaler: Jan Vermeer.

Auch seine `Junge Dame mit Perlenhalsband´ stammt aus der Sammlung - heute einer der Publikumslieblinge der Galerie. Durch ein Bleiglasfenster fällt das Licht auf eine junge Dame, die im Spiegel den Sitz ihrer Perlenkette prüft. Auf dem Tisch vor dem Mädchen liegen Puderquaste, Kamm und eine Schmuckkassette, Symbole der Eitelkeit. Und die junge Dame selbst hat nur Augen für ihr Spiegelbild - für die Zeitgenossen Vermeers ein Hinweis auf die "superbia", den Hochmut: Wie der Blick in den Spiegel ist auch die Schönheit nur von kurzer Dauer. Omnia est vanitas - alles ist eitel, alles ist vergänglich!

Die Neutronenautoradiographie zeigt: hinter dem Mädchen hing ursprünglich eine Landkarte als Sinnbild für die Welt. Und auf dem Stuhl lag eine Laute - Symbol der Vergänglichkeit: so schnell ihr Ton verklingt, so schnell vergeht alles Irdische. Das war Vermeer aber wohl zu dick aufgetragen - er hat beide übermalt. So wirkt das Bild jetzt dezenter und ruhiger.

Ruhige Anständigkeit strahlt auch diese Szene in einer Bürgerstube aus. Ein extremer Gegensatz zum wilden Porträt der Malle Babbe - aber auch hier geht es um die Gefahren des Alkohols. Die verrückte Babbe säuft Bier, die vornehmere Dame trinkt Wein. Neben ihr steht ein Mann, bereit nachzuschenken, sobald sie das Glas absetzt. Es fällt auf, dass er selbst kein Glas hat. Auch sein Blick lässt nichts Gutes erahnen - offenbar möchte er die junge Frau betrunken machen. Was danach folgt, überlässt Vermeer der Fantasie des Betrachters.

Aber er gibt einen klaren Hinweis auf die Tugend: sobald die Frau den Kopf hebt, wird ihr Blick auf die Glasmalerei gegenüber fallen. Wie ein Spiegelbild ist hier die Temperantia dargestellt, die Mäßigung, in Gestalt einer Frau mit Zügeln.

Das klare, kühle Licht, die ruhige Szene gegenüber dem Fenster - all das ist typisch für viele Bilder Jan Vermeers. Er gehört zu den Künstlern, über deren Leben wir sehr wenig wissen. 1632 geboren, wurde er nur 43 Jahre alt. Etwa sechzig Bilder hat er wohl gemalt, nur 35 davon sind heute noch erhalten. Nebenher war er Kunsthändler und führte eine Gaststätte - vielleicht war der Raum mit dem Fenster sein Malzimmer über der Schenke. Auch viele der Requisiten auf seinen Bildern tauchen immer wieder auf. Aus einer Inventarliste wissen wir, dass sie ihm gehört haben: der Krug, der schwere Eichentisch, die lederbespannten Stühle, auch einige der Kleidungsstücke.

An der Wand des Zimmers hängt ein Landschaftsbild - auch das typisch für die Zeit. Mehr als die Hälfte der Niederländer lebt schon in Städten. Sie holen sich das Land in ihre guten Stuben - ihre Heimat ebenso wie die Neue Welt. Die Niederlande sind die führende Seefahrernation. Und auch Künstler zieht es in die Ferne. Frans Post etwa reist 1637 im Gefolge des Prinzen Moritz von Oranien nach Brasilien, damals niederländische Kolonie.

Allart van Everdingen hingegen zieht es in den Norden, nach Norwegen und Schweden. Er ist tief beeindruckt von der rauen Natur: Felsen, Bergwälder, Wasserfälle - so etwas gibt es in Holland nicht! Zahllose Skizzen bringt er mit, zurück in Haarlem malt er dramatische Bilder. Die Kundschaft ist begeistert. Die Bilder erzählen von einer fernen, aufregenden Welt - lange vor der Zeit von Pauschalreisen und Urlaubsfotos.

Auch Jacob van Ruisdael imponieren die Gemälde. Und er sieht die Marktlücke, die sein Kollege entdeckt hat. Fortan malt auch van Ruisdael immer wieder Gebirgslandschaften mit Wasserfällen. Er hat zwar selbst wohl nie richtige Berge gesehen - aber van Everdingens Bilder genügen ihm als Vorlage. Ruisdael ist einer der besten Landschaftsmaler - und so wirken seine Gemälde heute ironischerweise oft stimmiger und überzeugender als Everdingens "Originale".

Begeisterte Käufer aber finden sie beide. Das 17. Jahrhundert ist das "Goldene Zeitalter" der Niederlande. In ganz Europa toben Kriege, hier aber floriert der Handel. Die Bürger werden immer reicher. Und das zeigen sie auch, nicht zuletzt, indem sie Kunstwerke kaufen. Eine wahre Flut von Bildern überschwemmt das Land - die Kunst ist bürgerlich geworden.