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Revolutionär mit Licht und Schatten

Kaum einen Maler umgibt so ein Mythos wie Michelangelo Merisi. Die Nachwelt hat einen üblen Ruf überliefert: In finsteren Spelunken soll er sich herumgetrieben haben, ein jähzorniger Schläger soll er gewesen sein, schließlich sogar zum Mörder geworden - ein unangenehmer Mitbürger. Tatsächlich wissen wir vieles über sein Leben aus Polizeiakten. Aber wir wissen auch, dass er einer der überlegtesten Künstler seiner Zeit war. Er galt als roh und vulgär - und zugleich als begnadeter Visionär.

Was Legende ist und was Wahrheit, kann man heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Aber eines steht fest: Michelangelo Merisi hat die Kunstgeschichte verändert. Seinen Künstlernamen verdankt dieser einmalige Meister dem Städtchen bei Mailand, in dem er 1571 geboren wurde: Caravaggio.

Mitte zwanzig zieht er nach Rom. Dort trifft er einen seiner größten Gönner: den Marchese Vincenzo Giustiniani, reicher Spross einer Kaufmannsfamilie, Kunstsammler und Mäzen. Für ihn malt Caravaggio 1602 den Amor als Sieger.

Das Bild bezieht sich auf ein Zitat von Vergil: "Omnia vincit amor" - die Liebe besiegt alles. Auf dem Boden verstreut liegen die Symbole für das menschliche Streben: Musik - Geometrie und Architektur - literarischer Ruhm - Krieg - und Herrscherwürde. Amor tritt sie mit Füßen: die Liebe ist mächtiger als sie alle. Und Caravaggio lässt keinen Zweifel daran, welche Liebe er meint. Sein junger Amor, spöttisch lächelnd, zeigt sich in einer eindeutigen Pose - sowohl die Pfeile in seiner Hand als auch die Spitze des Engelsflügels weisen auf sein Geschlechtsteil.

Caravaggio hat hier einen ganz irdischen Jungen gemalt, kompromisslos realistisch bis zu den dreckigen Fußnägeln. Wir wissen sogar, wer der Junge war: Francesco Boneri, genannt Cecco del Caravaggio, sein Schüler - und vielleicht auch Geliebter. Von ihm stammt dieses Gemälde, entstanden zehn Jahre später: in heiligem Zorn vertreibt Christus die Geldwechsler aus dem Tempel in Jerusalem.

Ein leibhaftiger Junge aus dem Volk zieht sich aus und posiert als Amor - ein Skandal! Üblich war es damals, Bilder von idealisierten Figuren nach sorgfältigen Vorzeichnungen zu konstruieren. Von Caravaggio aber haben wir keine einzige Zeichnung. Er setzt seine Modelle ins Studio, ritzt mit der Rückseite seines Pinsels ein paar grobe Umrisse in die Leinwand und malt dann gleich mit Ölfarben. So erreicht er eine vorher ungekannte Direktheit und Intensität.

Sie wird durch die extreme Beleuchtung noch verstärkt: wie von einem Schweinwerfer angestrahlt, hebt sich Amor vom dunklen Hintergrund ab. Diese Technik wird als "Chiaroscuro", als "Hell-Dunkel-Malerei" bezeichnet. Caravaggio prägt und perfektioniert sie und beeinflusst damit eine ganze Generation von Malern.

Theatralische Beleuchtung, Bewegung und Realismus statt klassischer Ausgewogenheit - der Stil des Barock ist geboren. Dem Bruder des Marchese Giustiniani aber geht soviel Wirklichkeitsnähe dann doch zu weit. Immerhin ist Benedetto Giustiniani Kardinal - und Caravaggios Amor allzu sinnlich. Immer wieder hat der Maler Ärger mit religiösen Auftraggebern. Sie schätzen zwar sein effektvolles Licht, aber die Personen scheinen ihnen vulgär. Kein Wunder: man sagt, Caravaggio habe Prostituierte als Modelle für Heilige oder die Madonna verwendet.

Kardinal Giustiniani gibt eine Gegendarstellung in Auftrag - und zwar ausgerechnet bei Caravaggios erbittertem Rivalen Giovanni Baglione. Auf dessen Bild hat die himmlische Liebe im Harnisch den irdischen Amor zu Boden geworfen. Selbst der Teufel hat sich abgewandt. Mit gewaltigem Schwung holt der himmlische Amor aus - bereit, die fleischliche Liebe mit einem Feuerpfeil zu vernichten.

Immerhin hat Baglione die Beleuchtung von Caravaggio übernommen. Aber die Figuren malt er ganz in der gekünstelten Tradition des Manierismus. Aus einer so verdrehten Handhaltung zum Beispiel könnte man in Wirklichkeit nie einen Pfeil schleudern. Amors Körper wirkt, als sei er aus Einzelteilen zusammengesetzt. Der Übergang vom Ober- zum Unterkörper ist anatomisch unklar - um das zu kaschieren, hat der Maler sicherheitshalber noch ein Tuch über die Rüstung gelegt. Auch das Gesicht des himmlischen Amor ist alles andere als naturgetreu.

Baglione malt ganz traditionell - Caravaggio dagegen ist mit seinem Naturalismus bahnbrechend. Gerade mit seinem Erfolg aber macht er sich viele Feinde. Dazu kommt sein aufbrausendes Temperament: wegen einer Mordanklage muss er schließlich aus Rom fliehen, zunächst nach Neapel, dann nach Malta. 1610 stirbt der grandiose Künstler jämmerlich im malariaverseuchten Hafen Porto Ercole - nicht einmal 37 Jahre alt.

Die Brüder Giustiniani, seine einstigen Mäzene, trugen in ihrem Palast eine der berühmtesten Kunstsammlungen Europas zusammen. Ein Teil davon war zweihundert Jahre später in Paris gelandet. 1815 besuchte dort der preußische König Friedrich Wilhelm III. das Musée Napoléon - und war begeistert. So ein Museum musste Berlin auch haben! 157 Bilder der Giustiniani standen zum Verkauf, darunter fünf Caravaggios.

Friedrich Wilhelm griff zu. Zwar entsprachen die Barock-Gemälde nicht dem Zeitgeschmack, aber im zukünftigen "Königlichen Museum" zu Berlin wollte man die ganze Kunstgeschichte zeigen. 500.000 Franken gab der preußische Staat dafür aus. Aber von diesen Bildern sind nicht mehr alle erhalten. Die dunkelste Stunde in der Geschichte der Berliner Galerie brachte der Zweite Weltkrieg. Als die ersten Bomben die Hauptstadt trafen, schaffte man die wichtigsten Kunstwerke in riesige Bunker.

Irene Geismeier, Direktorin der Gemäldegalerie von 1973-1991:

"Die Gemälde aus dem Bodemuseum - also, damals war's ja das Kaiser-Friedrich-Museum - die kamen in den Flakturm am Friedrichshain, aus dem Flakturm am Friedrichshain wurde ein großer Teil ins Bergwerk, oder in die Bergwerke, Kaiseroda-Merkers transportiert, zum Schutze, und von da kamen sie nach der Einnahme Thüringens durch die Amerikaner und Briten nach Celle und Wiesbaden. Und der andere Teil blieb im Friedrichshain und ist möglicherweise verbrannt. Man weiß es nicht genau. "Verbleib unbekannt" steht jetzt in den Publikationen.
Ja, und der andere Teil, so etwa an die tausend Kunstwerke, sind hier in den Kellern geblieben, auf der Museumsinsel, in den Luftschutzkellern, und das waren die Stücke, mit denen wir dann in der DDR Ausstellungen machen konnten. Einschließlich natürlich der Dinge, die aus der damaligen Sowjetunion 58 zurückgekommen sind."

Gerade die Gemälde, die man nicht ausgelagert hatte, waren also erhalten geblieben. Über 430 unersetzliche Meisterwerke aber waren verloren: Bilder von Bellini und von Cranach, allein zehn großformatige Gemälde von Rubens - und drei der Caravaggios aus der Sammlung Giustiniani. Neben dem "Amor als Sieger" hatte nur der "Ungläubige Thomas" in der Bildergalerie von Sanssouci überlebt.

Berlin war geteilt, die Sammlung zerrissen. Im Kalten Krieg richtete man sich ein, hüben wie drüben: auf der Museumsinsel war noch immer das Bodemuseum Heimat der übrig gebliebenen Gemälde, in West-Berlin wurde eine neue Galerie in Dahlem eröffnet. Zwei halbe Sammlungen in Ost und West - auch für die Kuratoren nicht einfach. So waren zwar viele der kostbarsten Bilder im Westen, alle Kataloge aber noch immer im Osten.

Erst nach dem Fall der Mauer konnte auch die Sammlung wieder zusammenwachsen. 1998 wurde schließlich die neue Gemäldegalerie eingeweiht - ein bewegendes Ereignis für alle, die Jahrzehnte lang unter der Trennung gelitten hatten.

Irene Geismeier:

"Ich muss sagen, die Tatsache, dass die Galerie seit 39 erstmalig wieder in diesem Neubau am Kemperplatz zusammengeführt ist - das war ein solches Erlebnis! Da hing an einer Wand ein Altar aus Ost-Berlin und an der anderen hing das Gegenstück aus Dahlem - das war ein Erlebnis."

Schon aber gibt es neue Visionen - irgendwann sollen die Alten Meister noch einmal umziehen: gegenüber ihrer alten Heimat soll ein Neubau entstehen. So sollen auch die Gemälde mit den Schätzen des Weltkulturerbes Museumsinsel wieder vereinigt werden.