Das Geheimkabinett
Auch das gehörte zum römischen Alltag. Schon bei den ersten Ausgrabungen kommen gleich massenweise Objekte zutage, die den Archäologen die Schamröte ins Gesicht treiben. Obszöne Statuen - pornographische Szenen - Sodomie!
So etwas passt nicht ins Bild der edlen antiken Hochkultur - und schon gar nicht zur Prüderie des aufstrebenden Bürgertums. Die Funde werden in einer eigenen Abteilung weggeschlossen. Jahrzehnte lang sind sie Menschen vorbehalten, deren moralisches Empfinden als gefestigt bekannt ist - das heißt: Männern im vorgerückten Alter. Im neunzehnten Jahrhundert wird das "Geheimkabinett" sogar zugemauert - am liebsten würde man die anstößigen Objekte einfach vergessen.
Aber sie sind genauso Bestandteil der römischen Kultur wie die edlen Marmorstatuen. Im neunzehnten Jahrhundert gelten sie als Zeugnisse heidnischer Lüsternheit - für die Menschen der Antike aber waren sie keinesfalls obszön, oft noch nicht einmal erotisch gemeint.
Der Phallus war Zeichen von Potenz, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne - in der römischen Statusgesellschaft Symbol für Männlichkeit, für Vermögen und Ansehen. Noch wichtiger aber: er war auch schlicht ein Amulett, Glücksbringer und Schutz gegen den bösen Blick. Besonders galt das in Verbindung mit Lärm - auch der sollte böse Geister vertreiben. Deshalb findet man immer wieder solche Figuren: riesige Phallen kombiniert mit Glocken - sie hingen in den guten Stuben der Privathäuser, aber auch in den Straßen über den Türen von Geschäften.
Allerdings gibt es durchaus auch eindeutigere Bilder -die griechisch-römische Mythologie hat ein Faible für deftige Szenen. Und nicht nur in Bordellen sollten plakative Illustrationen wohl durchaus auch praktische Anregungen liefern.
Für die Römer waren Erotik und Sexualität selbstverständliche Bestandteile des Lebens, mit denen sie unbeschwert und ohne Hemmungen umgingen. Auch das eine neue Erkenntnis, die wir den Ausgrabungen von Pompeji und Herculaneum verdanken - den Stätten tausendfachen Todes, die uns heute so viel über das Leben vor zweitausend Jahren erzählen.
Und noch immer schlummert rings um den Vesuv unter dicken Erd- und Ascheschichten ein unermesslicher Schatz für zukünftige Generationen von Archäologen. Mit einer perfekteren Technik werden sie vielleicht eines Tages weitere Geheimnisse einer vergangenen Welt ans Licht bringen - und vielleicht wieder unseren Blick verändern, unser Bild von der griechisch-römischen Kultur, die ganz Europa und weite Teile Asiens für immer geprägt hat.