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Befreite und Patrizier, Männer und Frauen - Macht und Politik

Der Weg zurück in die Stadt ist gesäumt von Gräbern - wie alle Landstraßen vor den Toren römischer Städte, denn es ist gesetzlich verboten, innerhalb der Stadtmauern Menschen zu beerdigen. Auch hier inszeniert sich wieder die Oberschicht. Viele der großen Monumente sind Ehrengräber für verdiente Bürger - wie hier das von Calventius Quietus. Innerhalb der Mauer liegen in schmucklosen Gräbern die Mitglieder seiner Familie. Die römische Gesellschaft funktioniert bis in den Tod: wie zu Lebzeiten scharen sich die abhängigen um die reichen Bürger.

Das erstaunliche daran: das Monument sieht aus wie das eines vornehmen Landbesitzers - aber sein Name deutet darauf hin, dass Calventius Quietus einst Sklave gewesen sein muss. Freigelassene Sklaven sind praktisch vollwertige Bürger. Rom ist eine kapitalistische Gesellschaft: wer Erfolg hat, kann gesellschaftlich aufsteigen.

Ein Stück weiter das Grab von Aulus Umbricius Scaurus. Seine Familie ist mit der Fischsoße Garum märchenhaft reich geworden. Auch er muss von ehemaligen Sklaven abstammen. Aber die Inschrift vermerkt stolz, dass er es bis zum höchsten Amt der Stadt Pompeji gebracht hat: er war "duumvir".

Die "duumviri iure dicundo" - wörtlich "Zweimänner mit Befugnis zur Rechtsprechung" - waren Bürgermeister und oberste Richter zugleich. Hier könnten sie Recht gesprochen haben: auf dem Podium in der Basilika. In der großen Halle am Forum fanden Gerichtsverfahren statt, hier traf man sich, um über Geschäfte und Politik zu diskutieren.

Jedes Jahr werden neue duumviri gewählt - wie in vielen wichtigen Ämtern kontrollieren und unterstützen sich zwei Inhaber gegenseitig. Die duumviri bilden die Spitze der Statusgesellschaft. Sie genießen das höchste Prestige - zumal sie Pompeji auch in Rom vertreten, gegenüber den Hauptstadt-Beamten und sogar dem Kaiser selbst. Bis heute sind überall in der Stadt gemalte Wahlslogans erhalten - ein Segen für die Historiker! Denn Jahr für Jahr werden neue Namen über die alten geschrieben. Verfolgt man also die Farbschichten, kann man oft bis aufs Jahr genau sagen, wer in Pompeji den Ton angegeben hat. Allerdings: wieviel Wahlkampf es wirklich gegeben hat, weiß man nicht. Pompeji ist eine Kleinstadt, jeder kennt hier jeden. Gewählt werden die, die immer gewählt werden: die Söhne der alteingesessenen Familien. Dazu ein paar Neureiche - man zerreißt sich zwar das Maul über sie, aber man kommt an ihnen nicht vorbei. Denn sie erfüllen die wichtigste Voraussetzung für öffentliche Ämter. Die Kandidaten müssen erwachsene Männer sein, frei geboren in eine "respektable Familie" - und das heißt vor allem: sie müssen reich sein. Denn als Amtsinhaber verdienen sie nicht etwa Geld.

Prof. Karl-Wilhelm Weeber, Wuppertal/Witten:

"Es gehörte zu den erwarteten - und vollzogenen - Pflichten der Oberschicht, großzügig zu sein gegenüber den einfachen Menschen und gegenüber der Stadt. Vieles, was wir heute als öffentliche Aufgaben ansehen würden der Stadtverwaltung, wurde finanziert durch reiche Bürger. Das kann man durchaus vergleichen mit der amerikanischen Einstellung."

Zu den wichtigsten Aufgaben der duumviri gehört es, öffentliche Bauten zu finanzieren. Das Odeon etwa, einst Musiktheater mit Dach und vorzüglicher Akustik, haben Caius Quinctius Valgus und Marcus Porcius gestiftet - die Inschrift rühmt sie gleich neben dem Architekten.

Nicht anders als heute liefen manche Projekte aus dem Ruder: unser alter Bekannter Marcus Holconius Rufus, volle fünf Mal duumvir, ließ einst den großen Apollo-Tempel ausbauen - und musste ein kleines Vermögen an den Nachbarn zahlen. Der hatte nämlich auf Schadensersatz geklagt, weil der größere Tempel ihm die Sonne nahm. Ihr Büro haben die Duumviri wohl direkt am Forum. Daneben die "Curia" - der Ratssaal. Im Rat der Stadtväter, dem "ordo decurionum", beschließen die hundert wichtigsten Männer der Stadt den Haushalt und entscheiden über Steuern. Die täglichen Geschäfte aber führt ein "öffentlicher Sklave" - noch ein Hinweis auf die hohe Stellung, die Sklaven in der Gesellschaft haben können.

Allerdings dürfen ehemalige Sklaven zwar wählen - aber gewählt werden können nur frei geborene Römer. Das erklärt wohl eine Inschrift am Isis-Tempel: Numerius Popidius Celsinus, steht da, hat den Tempel renoviert und wurde zum Dank in den Stadtrat aufgenommen - im Alter von sechs Jahren! Hier musste wohl der Sohn eines Freigelassenen für die Ambitionen seines Vaters herhalten.

Neben der Curia das Büro der beiden "Aedilen". Auch sie werden jedes Jahr neu gewählt. Sie sorgen für die öffentliche Ordnung: sie halten die Straßen instand, sind Polizeichefs und überwachen die Märkte. Hier direkt am Forum können Kunden auch selbst überprüfen, ob die Händler sich an die Gesetze halten - denn alle Maße und Gewichte sind genormt.

Alle Ämter aber waren Männern vorbehalten - keine Frau durfte für ein öffentliches Amt kandidieren. Frauen hatten kaum Rechte - sie waren vollkommen ihrem pater familias unterworfen. Wie so oft aber sah das wahre Leben etwas anders aus: Frauen haben Geschäfte und Kneipen geführt, manche besaßen ganze Wohnblocks. Und obwohl sie selbst nicht wählen durften - auf vielen Plakaten werben Frauen für ihre Wunschkandidaten.

Vor dem Herkulaner Tor lädt ein Grabmal dazu ein, bei einer Rast die Inschrift zu lesen. Überraschung: das pompöse Monument erinnert an eine Frau namens Mamia. Und auch das größte aller Gräber von Pompeji ist einer Frau gewidmet: Eumachia. Eines der großen Gebäude am Forum hat sie gestiftet. Es war wohl das Zunfthaus der Fullones, der Wollwäscher - und die haben ihre Gönnerin in einer Statue verewigt. Eumachia hatte die einzige Machtpostion inne, die auch Frauen offen stand: Sie war Priesterin.