Prestige ist alles
Römische Häuser und Familien
Von außen wirken sie oft abweisend, mit hohen Mauern fast ohne Fenster. Aber der Eindruck täuscht. Selbst die Häuser der Reichen sind keine Refugien hinter Schlagbaum und Stacheldraht. Im Gegenteil: jeder kann hereinkommen. Die Haustüren sind spektakulär, sie sollen Eindruck machen. Und viele davon stehen den ganzen Tag offen.
Hier allerdings wacht ein Hund: CAVE CANEM - Hüte dich vor dem Hund! Das ist nicht nur Fiktion: viele Pompejaner hatten Hunde - einige davon haben den Ausbruch des Vesuv nicht überlebt. Der Blick von der Haustür quer durchs Atrium ist sorgfältig inszeniert.
Prof. Karl-Wilhelm Weeber, Witten:
"Gerade für die Römer der Oberschicht war es wichtig, die Öffentlichkeit mit in ihre privaten Räume - zum Teil jedenfalls - zu nehmen, weil man gerne demonstrierte, was man hatte. Und deswegen ist das Atrium, deswegen ist das Tablinum - also der Empfangssaal - und deswegen ist das Peristyl, der Garten, in einer Blickachse gelegen, so dass man, auch wenn die Haustür einfach nur aufsteht, mit einem Blick in dieser Blickachse erkennt, welcher Wohlstand in diesem Haus vorhanden war."
Vom Wohlstand zeugt auch die Dekoration der Häuser. Die Räume sind vom Boden bis zur Decke ausgemalt - eine wahre Explosion von Farben. Viele der Fresken hängen heute im Nationalmuseum von Neapel. Immer verspielter werden die Dekorationen, immer fantastischer. Aber genau wie heute kann nicht jeder mit moderner Kunst etwas anfangen. Der Architekt Vitruvius hat uns das einzige römische Lehrbuch über die Baukunst hinterlassen. Und darin schimpft er:
"Wie kann denn ein Schilfrohr ein Dach tragen oder ein Kandelaber die Ornamente eines Giebeldachs, wie kann ein dünner, zarter Trieb eine sitzende Figur hervorbringen oder aus Wurzeln und Stängeln teilweise Blüten und teilweise Halbfiguren?"
Für Vitruvius ist die Schlussfolgerung klar:
"Es dürfen keine Bilder gebilligt werden, die unrealistisch sind, und auch wenn sie kunstvoll gemacht sind - wenn sie nicht plausibel sind und gegen den gesunden Menschenverstand verstoßen, darf man sie nicht als korrekt betrachten."
Aber vor allem gibt Vitruvius genaue Anweisungen, wie römische Häuser zu bauen sind. Das Atrium ist Mittelpunkt des Hauses. Es spendet Licht - und Wasser: im "impluvium" sammelt sich bei Regen das Wasser vom Dach.
Die teuersten Häuser in Pompeji haben fließendes Wasser - die anderen speichern das Regenwasser, damit man nicht so oft zum nächsten Brunnen laufen muss. Ins Atrium eines vornehmen Hauses können Besucher jederzeit eintreten - es ist öffentlich und dient der Repräsentation. Aber wieder ist die Sache nicht so ganz klar.
Prof. Andrew Wallace-Hadrill, Leitung des Sidney-Sussex College, Cambridge:
"Wir gehen davon aus, dass Zimmer eine Funktion haben: das hier ist ein Wohnzimmer, das ein Schlafzimmer, und dieses vielleicht eine Bibliothek. Ich glaube inzwischen, dass man das viel lockerer sehen muss, wenn es um die Antike geht: das hier sind die Empfangsräume, aber lasst uns das nicht zu eng sehen - irgendwann hat man diesen tollen Empfangssaal vielleicht zum Weben benutzt, und deshalb finden wir da eine Menge Webstuhl-Gewichte."
Mancher Haushalt nutzt sein Atrium als Lager, und oft haben Archäologen hier Tische oder Schränke gefunden. An den Wänden dieses Zimmers sieht man noch heute die Spuren von Regalen - in den Löchern waren die Träger der Regalböden eingemauert. Es ist ein "cubiculum" - einer der kleinen Räume am Atrium, in denen man auch schläft.
Noch mehr Zimmer liegen im ersten Stock. Die meisten Häuser in Pompeji sind zweistöckig, und oft führen Treppen direkt aus dem Atrium nach oben. Heute wirken die Räume leer und verlassen. Aber bei den Ausgrabungen waren sie voller Gegenstände. Auch sie sind heute zum größten Teil im Museum von Neapel. Für heutige Verhältnisse wirkt die Küche aufallend klein. Und noch eine Überraschung: in der Küche war auch die Toilette. So konnte man sie für Küchenabfälle mitbenutzen. Ein Badezimmer gibt es nicht - das Baden gehörte zu den öffentlichen Vergnügungen.
Wie viele Menschen mögen hier gewohnt haben? Zur römischen "familia" gehörten nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch die Sklaven. Über sie alle hat der Hausherr unumschränkte Macht. Er ist der "pater familias", der Familienvorstand. Seine Frau und selbst erwachsene Kinder hängen zeitlebens von ihm ab.
Der Raum des pater familias ist das "Tablinum", das Empfangszimmer gegenüber dem Eingang. Es ist prachtvoll ausgestattet, ein teures Mosaik ziert den Fußboden. Im Mittelpunkt seiner Schauspieltruppe sitzt ein Autor - nach ihm nannten die Ausgräber das Gebäude "Haus des Tragödiendichters". Wie die Wandmalereien haben die Römer auch die Mosaike aus der griechischen Kultur übernommen. Auch das berühmteste aller Mosaike stammt aus einem Tablinum. Hier sehen sich die Gäste einem der größten Feldherren aller Zeiten gegenüber: Alexander dem Großen. In der Schlacht von Issos besiegt er den persischen Weltherrscher Dareios - und offenbar hoffte der Hausherr hier in Pompeji, dass der Glanz des unbezwingbaren Alexander auf ihn abfärbte.
Im Tablinum empfing der pater familias ärmere Bürger, die ihn um Unterstützung baten. Sie waren nicht etwa lästige Bittsteller:
Prof. Andrew Wallace-Hadrill:
"Dass ein reicher Mensch Macht hat, kann man nur daran erkennen, dass er von Leuten umgeben ist, die um Unterstützung bitten. Erst indem man Abhängige unterstützt, verwandelt man seinen Reichtum in Macht. In gewissem Sinne können also die Reichen der Antike ohne die Armen nicht leben - die heutigen Reichen fliehen vor ihnen."
Gleich hinter dem Tablinum: der Garten. In manchen Häusern ist er winzig - aber er bot Licht, Luft und ein bisschen Grün. Und man muss sich ja nicht mit ein paar Pflanzen zufrieden geben. Wer es sich leisten kann, bricht die Mauern auf: Bilder erweitern auch den kleinsten Garten zum exotischen Paradies, bevölkert von wilden Tieren oder Göttern. Der Besitzer dieses Hauses allerdings hat wohl nicht genug Geld für einen großen Künstler gehabt: seine pompöse Venus ist etwas ungelenk geraten. Aber der Effekt ist großartig. Das Bild entführt ans Meer, die Göttin ruht in einer Muschel. Ein Fenster in die Ferne - flankiert von einem üppigen Lustgarten mit einer Statue von Mars, dem Kriegsgott, und einem Brunnen.
Manchmal aber nehmen die Gärten selbst gewaltige Ausmaße an. Dieses Haus gehört wohl einem gewissen Octavius Quarto - zumindest wird man später seinen Siegelring am Eingang finden. Er hat sein Grundstück mitten in der Stadt wie ein Landhaus gestaltet: die schattigen Bäume spiegeln sich in Kanälen mit schimmernden Fischen. An lauen Sommerabenden bewirtet er seine Gäste in einem idyllischen "Sommer-Triclinium", einem Essplatz im Freien. Rings um einen Brunnen liegt man zu Tisch. Gebildete Besucher erfreuen sich an einem ironischen Scherz: über dem Platz am Wasser ein Bild von Narziss, dem Halbgott, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt - als er sich im Wasser sieht.
Zum Garten hin öffnet sich auch der "Oecus" - ein Salon für den Empfang von Gästen, auch er mit Malereien und Mosaiken verziert. Wer kein Triclinium hat, veranstaltet hier seine Bankette. Einladungen zum Essen sind wichtig: auch damit demonstrieren sich die reichen Familien gegenseitig ihren Wohlstand. Gerne auch mit frivolen Späßen - diese Herren aus Bronze etwa reichen auf ihren Tabletts wohl Knabbereien. Nicht alle Bankette sind ausschweifende Orgien. Je nach Temperament des Gastgebers sind die Abendvergnügen durchaus unterschiedlich.
Prof. Karl-Wilhelm Weeber:
"Sie können wirklich philosophisch angehauchte Gespräche führen, hat es gegeben. Sie können einen Rezitator haben, der ihnen Homer-Verse, ein ganzes Buch von Homer vorträgt - hat es gegeben! Aber es gibt eben auch die anderen, die sich so ein paar Tänzerinnen und ein paar Flötistinnen kommen lassen und deren Flötenkünste sozusagen in jeder Hinsicht nutzen."
Hier wird getrunken und gefeiert - eine der Damen allerdings hat wohl schon etwas zu viel Wein gehabt. Zum Glück ist ein hilfreicher Sklave zur Stelle. Die Bilder stammen aus dem Hinterzimmer einer Bäckerei. Der Bäcker hat den großen Raum wohl an einfache Pompejaner vermietet, die sich auch einmal ein Bankett gönnen wollten. Normalerweise sind solche Parties Sache der Reichen.
Eines der größten Häuser gehört den Poppaei, einer der reichsten Familien des ganzen Imperiums. Eine Tochter war die zweite Frau von Kaiser Nero - ein Star in der Hauptstadt, berühmt für ihre Schönheit, berüchtigt für ihren Ehrgeiz. Hier hat man, sorgfältig verpackt in einer Holzkiste, neben dem Familienschmuck ein Silberservice gefunden. Das ist die Pracht der Reichen - die einfacheren Leute haben Geschirr aus Bronze, Ton oder billigem Glas. Denn natürlich leben nicht alle Pompejaner im Luxus. Viele Handwerker und Händler sind ehemalige Sklaven. Sie wohnen oft hinter oder über ihren Geschäften - und in den kleinen Räumen ist kein Platz für eine Küche.
Heute leisten sich die Reichen das Essen im Restaurant, die Armen kochen zuhause - im römischen Reich war es umgekehrt. Überall gab es die typischen Imbisse, in denen die einfachen Leute gegessen haben. Viele von ihnen waren wohl zugleich Lebensmittelgeschäfte - in den Tonkrügen wurden die Zutaten aufbewahrt, an der Theke konnte man sie sich sofort zubereiten lassen. Neue Forschungen haben gezeigt, dass auch weniger reiche Einwohner von Pompeji und Herculaneum gut gegessen haben. Hinweise darauf fand Professor Wallace-Hadrill ausgerechnet in einer Kloake:
"Diese Kloake liegt unter einem Block mit Läden und Wohnungen - die Leute, die da gewohnt haben, waren auf keinen Fall die Elite, die Reichen der Stadt. Und doch ist ihre Ernährung wunderbar reichhaltig und abwechslungsreich: es gibt Fisch und Nüsse, Fleisch, Früchte und Eier, Hühnchen und Seeigel, alles mögliche. Das zeigt: wenn man die Lebensweise der ganz normalen Leute nur aus ihrem Essen erschließen müsste, würde man sagen: oh, dass müssen reiche Leute sein!"
Auch an ihren Wohnvierteln kann man Arm und Reich nicht unterscheiden: es gibt weder Nobelviertel noch Slums. Man wohnt zusammen, Wand an Wand - so wie hier in der "Insula Arriana Polliana": Das ganze Innere des Blocks nimmt ein vornehmes Haus ein, heute bekannt als "Haus des Pansa". Darum gruppieren sich einfachere Wohnungen: Kleinere Atriumhäuser, "domus" genannt - etwa wie heutige Einfamilienhäuser. Zur Hauptstraße hin Geschäfte, oft mit Zwischengeschossen. In den Seitengassen winzige Ladenwohnungen, nur ein oder zwei Räume. Man weiß nicht mehr, was hier verkauft wurde - aber mancher Inhaber wird wohl hinter seiner Ladentheke auch geschlafen haben.
Im Obergeschoss der Häuser gab es oft Mietwohnungen. Sie sind heute zum größten Teil verschwunden, nur die Eingänge sind übrig. Überall in der Stadt sieht man sie - und manchmal auch die Treppen, die nach oben geführt haben. Auch in den Mietwohnungen wohnen keineswegs nur arme Schlucker. Das zeigen Inserate an den Fassaden:
"Im Anwesen der Iulia, Tochter des Spurius Felix, sind zu vermieten: ein elegantes Bad für bessere Kreise, Läden mit Wohnräumen im Zwischengeschoss und Wohnungen im ersten Stock, ab kommenden August bis zum 1. August des 6. Jahres auf fünf Jahre Laufzeit."
Prof. Andrew Wallace-Hadrill:
"Wenn man nur von Pompeji ausgeht, könnte man sich gut vorstellen, dass die Reichen im Erdgeschoss gewohnt haben und die Sklaven oben in Dachstuben. Aber in Herculaneum sieht man: die Dekoration der oberen Stockwerke ist auch sehr elegant - diesen Unterschied der Ebene von Sklave und Besitzer gibt es nicht, im Obergeschoss lebten Leute in Wohnungen, die zum Teil wirklich schick waren."